Danke Micha für Deinen Beitrag. Das nenne ich ein statement!
Bei aller Rundheit der Darstellung, kommt mir aber vieles darin idealisierend dargestellt vor.
Tatsache ist, dass schon Anfang des 19.Jahrhunderts (und nicht Anfang des 20.Jahrhunderts) irish folk music gesammelt wurde.
Weil Kevin Burke hier schon verschiedentlich zitiert wurde, wollte ich herausfinden, was denn sein Geigenspiel entscheidend geprägt hat. Dies waren drei fiddler Michael Coleman, Paddy Killoran und James Morrison. Alle drei virtuose irish fiddler und nach Amerika ausgewandert, Coleman und Morrison waren jedoch schon vor seiner Geburt tot!
Zitat aus en.Wiki
The Sligo style of fiddle music Morrison played was typically highly ornamented and fast, with a fluid bowing style. Recordings of Morrison's playing were imported to Ireland in great numbers, and had an extraordinary impact. In many areas, local playing styles fell into disuse because of the popularity of the style and repertoire of Morrison and of Michael Coleman. This repertoire included predominantly reels, rather than jigs and hornpipes, and were often played by Irish musicians in the same order as on the original recordings. According to Seamus MacMathuna, "More than thirty years after Coleman's death ... one seldom hears 'Bonny Kate' without 'Jenny's Chickens'. 'Tarbolton' is inevitably followed by 'The Longford Collector' and the Sailor's Bonnet'." The great Canadian fiddler Jean Carignan was much influenced by Morrison. James Morrison is well regarded by Frankie Gavin: "the approach he had to fiddle playing and the approach he had to any tune he touched just ... can't be beaten ... nobody can play like that today.“
Zwischen 1921 und 1936 hat auch Michael Coleman ca.80 Platten aufgenommen und mit seinem Sligo fiddle style noch Generationen dadurch direkt oder indirekt beeinflusst.
Einen derart frühen Einfluss von Schallplatten auf die Irish Folk Szene hätte ich nicht vermutet. Dies als ein Beispiel gegenüber dem Bild einer linearen Tradition von Tür zu Tür.
Auffallend auch die Wettbewerbe, an denen die genannten Fiddler teilgenommen haben (z.B.1908)
Wettbewerbe sind aber auf Vergleich angelegt, und irgendwie passt das nicht zu dem Bild, alles sei so frei und wild und ohne „strikte Regeln“.
Dass ein Musiker einen Personalstil entwickelt, ist nicht nur bei den fiddlern so, sondern überall in allen Stilen. Da kann man auch 20 Pianisten aus einer Stadt an dieselbe Sonate setzen und 20 sehr verschiedene Interpretationen hören. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass eine Komposition ein Korsett von Vorschriften enthält, die es nur sklavisch umzusetzen gilt. Im Gegenteil. Das wesentliche steht immer zwischen den Noten. Musikmachen bedeutet, diese Variablen zu erkennen und stilgerecht zu füllen.
Alles andere ist Töne verwalten.
Strikte Regeln? Welche sollen das sein?
Offene Ohren? Immer gut.
Ohne Anweisung, auf was man genau zu hören hat, ist der Tipp aber genauso wertvoll, wie: Mach die Augen auf, wenn Du malst. Die Dinge wollen angelernt sein und brauchen Anker, an denen man sich orientieren kann, und zwar im Detail.
Diese Betonung auf das Unbenennbare, Nicht-Notierbare in der irischen Musik, das man fühlen muss, weil man es nicht fassen kann, ist kein Alleinstellungsmerkmal und mir zu mystisch angelegt.
Das Nicht-Notierbare gibt es auch in allen Musikstilen. Z.B. im Wiener Walzer. Jedes Orchester muss am Neujahrskonzert mit jedem neuen Dirigenten die Frage klären, weil es jeder Dirigent anders haben will: Wie stark soll denn der 3/4 diesmal eiern?
Diese Notation möchte ich auch gerne mal sehen, zumal sich das Eiern von Takt zu Takt ändern kann. Musik muss immer mit Gefühl gespielt werden. Vielleicht bin ich ja der Einzige hier, der froh ist, wenn der Kopf dabei auf den Schultern bleibt und nicht spazieren geht, denn es könnte ja sein, dass man ein klein wenig nervös wird auf der Bühne....
Seltsam, so frei und wild empfinde ich die irische Musik gar nicht, im Gegenteil. Dieses „strict unisono“ (Das ist jetzt ein Zitat aus Wikipedia!), also das strikte Spielen einer einstimmigen Melodie gehört zu den striktesten Formen überhaupt. Das Ganze dann noch brav in AB Form (jedenfalls ganz oft). Also frei und wild sieht für mich anders aus. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich diese Musik liebe! Ich habe nur einen anderen Blick darauf.
Anker, Stilelemente besser gesagt, gibt es. Wenn man sich bemüht und es überhaupt will, dann kann man diese auch vermitteln.
Da bin ich wieder bei Kevin Burke, der in seinem Video mit klaren Worten und Beispielen genau das demonstriert: How could an American fiddler sound more like an irish fiddler?
Er spricht ganz konkrete Stilelemente an, die z.B. durch betonte/unbetonte Strukturen ein typisch irisches Merkmal im Geigenspiel ausmachen. Nicht immer, nicht regelhaft, nicht unbedingt, aber aus seiner Sicht wesentlich. Da hat man mal was für die Ohren zum konkreten raushören! Und genau das bringt jemanden wie mich weiter. In diesem Sinne haben mich die links von Rolf weitergebracht, besten Dank dafür!
Vielleicht bin ich der Einzige, der hier jetzt zufrieden ist, denn nun habe ich für mich eine Lösung der triplet / Triolen-Frage:
Eine triplet ist eine triplet, so wie eine Triole eine Triole ist.
Alles andere ist eine triplet mit Lilt bzw. eine Triole mit Lilt.
Dasselbe gilt für die Jig: eine drei 8tel Gruppe mit Lilt oder ohne.
Dann darf der Lilt so ausfallen wie er passt.
Praktisch daran, ich kann den Lilt beschreiben: stark, schwach, deutlich……
Oder übergreifender: ein tune mit Lilt, ein Spielstil mit Lilt…..
Wunderbar. Es braucht auch nicht die Entlehnungen aus anderen Stilen oder der Theorie: swing, ternär, triolisch. Es bezeichnet genau das, was es ist: ein Stilelement der irischen Musik.
So werde ich das handhaben.
Das soll aber nicht bedeuten, dass man das jetzt so nennen muss, man gezwungen ist, nichts anderes mehr sagen darf, oder von mir mit der Lanze erstochen wird.….feel free!
Viele Grüße,
Lance