Beiträge von Rainer, der Klassikfuzzi

    Servus im bodhran Forum,

    ich sag' mal ganz schüchtern unbekannterweise Hallo zu Rolf und Mat und natürlich bekannterweise geradezu euphorisch „ Grüß dich, Guido“,

    Ich wollte mich unbedingt bei Euch melden, um bzgl. des besagten videos einiges aufzuklären und zu differenzieren. In jedem Fall - hier ist der Delinquent, ,der Trommler, der Klassik-Fuzzi!!

    Ich habe den besagten Clip auf youtube eingestellt, um meine befreundeten Kollegen, ein in unseren Kreisen doch exotisches Instrument vorzustellen. Dass dies nun alles in einem Forum von virtuosen Bodhran-Spezialisten landet und zum Thema wird – puh - da bekomme ich im Nachhinein doch ein gehöriges Fracksausen, womit wir wieder beim Video wären.
    Frack und Musik, vielleicht ahnt ihr, wohin die Richtung geht, aber eine Entwarnung vorweg, ich nehme Klassik nicht nur ernst, ich lebe davon. - Meine video-Partner und ich sind seit 25+x Jahren Orchestermusiker in einem 99-köpfigen Staatsorchester, das zum Badischen Staatstheater Karlsruhe gehört. (klingt immer alles so elitär-pompös, aber gaaaaaaanz ruhig, so schlimm ist es nicht ).

    Ich bin nun also Schlagzeuger in einem klassischen Orchester, was bedeutet, dass ich im zeitgenössischem Sektor manchmal eine überdimensionale Wagenburg von Percussions-Instrumenten bedienen muss, andererseits bei einer Sinfonie von Anton Bruckner einmal aufstehe und die Becken zusammenhaue, und das war's dann. - Wie auch immer, vor über 15 Jahren hat sich daneben das auf youtube gezeigte „Opera Swing Quartet“ (kurz OS4) entwickelt, ein Quartett, das die Werke aus unserem tagtäglichen Orchesterleben mit Jazz-Standards verbindet. Unsere 2.Liebe gehört also dem Jazz, bei mir kommt noch ein Faible für Irishfolk hinzu. (War in den 70ern bei den ersten Irish Folkfestivals dabei als Zuschauer dabei, danach mit dem ganzen Fury-Clan und den Buskers im Pub - und ab 1976 wurde es musikalisch immer stärker und virtuoser mit Planxty, Clannad und vor allem mit De Danann inkl. meinem ersten gehörten bodhran-Solo von Johnny McDonnagh).

    Zurück zum Jazzquartett, wir mischen also verschiedene Stile, verändern Charakter, Harmonien, Taktarten weltbekannter klassischer Originale und haben uns inzwischen durch unsere musikalischen „Mischehen“ eine eigene musikalische Nische geschaffen.(wen's interessiert: http://www.os4.de)
    Unser Publikum besteht bezeichnenderweise größtenteils aus Klassik-Kennern, da der Spaß an unserem Spiel Kenntnis der Originale voraussetzt. Unsere Musik lebt also vom Umgang mit Zitaten, dem Aufdecken von Ähnlichkeiten, der ungewohnten Verarbeitung von Vertrautem, der Parodie und der Verfremdung.

    Der gezeigte Clip ist für einen Folk-Puristen zugegeben etwas verwirrend, hierfür sorry -. E zeigt nur ca. 5min aus einem 2std. Konzertprogramm, in dem wir uns dem Händel-Jahr 2009 widmen. Ende 2007 bekamen wir den Auftrag im Rahmen der Karlsruher Händelfestspiele ein „Händel trifft Jazz“-Programm zu erstellen. Wir haben wochenlang CDs gehört, Partituren studiert, Harmonie-Strukturen geprüft, um gemeinsame Barock/Jazz Mosaikbausteine zu finden, die sich in unserem Sinne verschmelzen lassen. Dabei stieß ich auf die Bouree der 3. Suite G-Dur aus der Wassermusik, die ihr Ton für Ton in dem Clip hören könnt. Das ist nicht Irish Folk, das ist Georg Friedrich Händel(!), der auch im Original wie ein Jig klingt (komponiert um 1743). Auf CD haben wir diese Nummer arrangiert und mit Profi-Kolleginnen eingespielt (Geige, Piccolo und Harfe) - mit einem absolut irischem sound-Ergebnis. (Bei Interesse mail an info@os4.de, ich schick' Euch Original und Bearbeitung per mp3-Datei, ist wirklich überraschend).

    Live klingt es bei uns zugegeben erbärmlich, der Gag soll sein, dass auf einer grundsätzlich schlecht stimmenden kleinen Es-Klarinette gespielt wird und der Kontra-Bassist zur kleinen Geige greift. Ansonsten spielen die 2 den ganzen Abend die unglaublichsten, virtuosen Sachen, - Wir machen uns nicht über Irish Folk lustig, sondern parodieren uns selbst mit irisch eingepackten Händeltönen.(Händel war übrigens in Irland Kult, sein Messias wurde in Dublin uraufgeführt und war eine musikalische Sensation).

    Zur bodhran – natürlich dachte ich nach dem ersten Hören dieser Händeltöne sofort an Folk und hielt eine rhythmische Begleitung auf einer bodhan für geeignet.
    Und jetzt seid ihr im Spiel: im Februar 2008 bestellte ich bei einem Rolf Wagels(hallo Rolf;-) ein paar Tipper und kurze Zeit später bei Guido Plüschke eine günstige Bodhran. Das waren die ersten persönlichen Berührungen mit diesem Instrument überhaupt. Anfang März ein VHS-Kurs bei Guido, bei dem ich mich ziemlich dämlich anstellte; alles was du dein Leben lang rechts-links machst, wird nun zu down-up, sehr ungewohnt. - dennoch!!!! - Die Schlagmustersammlung von Guido wurde meine Bibel und ich habe ein Jahr lang täglich etliche Stunden brav darin gebetet;-) Ich finde sie vor allem deshalb so gut, weil sie neben der Pfeilsymbol-Schrift auch mit den internationalen Schriftzeichen der Musik arbeitet – mit Noten. Diee beiden Möglichkeiten ist für alle sehr verständlich, Lucy Randall ist eine tolle Musikerin, aber ihre Fibel, sorry, hier ein rotes dada – dort ein schwarzes dudu – Spielen nach Farben hat ein bißchen was von Malen nach
    Zahlen. Du verlierst irgendwann das Interesse und den nötigen Biss zum produktiven Üben.

    Nach einem halben Jahr ging mir der harte Sound und das unflexible Fell meiner Starter-Bodhran auf die Nerven und ich nahm Kontakt auf zu !! Hedwitschak-Bodhrans !!, daher die MOS (Hallo Christian, bin bis heute begeistert von Deinem Instrument und der einzigartigen, witzigen Korrespondenz).

    Zu meinen bodhran-Versuchen und den diesbzgl. Bemerkungen im forum: ich brauchte innerhalb eines Jahres (gewissermaßen von 0 auf 100) ein repräsentatives Solo, wobei mir Guido unglaublich geholfen hat und er mir sozusagen die copyrights seiner Gags überließ - das tremolo mit der linken Hand habe ich übrigens auch schon von einigen anderen auf youtube-vids gesehen. Auch habe ich um Erlaubnis gefragt, 'When the saints' benutzen zu dürfen. Und warum??? -

    Live ist bei ungewöhnlichen Bearbeitungen ein schneller und hoher Wiedererkennungswert sehr wichtig und der gelingt hier am besten und sichersten mit einer gleichmäßig auf- oder abwärts gehenden Tonfolge, weil hier das träge Ohr Ungenauigkeiten noch am ehesten verzeiht bzw. nicht wahrnimmt . Natürlich habe ich lange nach anderen Songs gesucht, die sich genauso schnell identifizieren lassen, aber 'When the saints' war mit der 3maligen Tonleiter-Repetition einfach genial, ich hätte ja auch 'Alle meine Entchen' nehmen können - vergiß die Achtelpause und das Terzintervall und schon ist alles völlig identisch. - und was Mozart betrifft: mit einer Melodie, die nur aus Quarten und Terzen besteht und auf einer Trommel mit Naturfell gespielt wird, da muß klimatisch aber alles passen, um das per Fingerdruck bzgl. Intonation jedesmal perfekt hinzukriegen. Es ist halt doch nur eine Trommel und keine Pauke. Sollte das immer und überall im wahrsten Sinne 'astrein' funktionieren, sofortige Abbitte und a la bonheur!

    Was die rhythmische Schlagabfolge in diesem Solo betrifft, vertrete ich eine ziemlich kultur-übergreifende Definition: man vergesse einmal den spezifischen Klang seiner favorisierten Trommel und reduziere das Schlag-Repertoire auf die reine, eiskalte rhythmische Grundinformation, das Notenwert-Skelett. ---- Der Japaner auf seiner Taiko, der Inder auf seiner Tabla (hier noch mit ungewohnten Takt-Metren), der Afrikaner auf seiner Djembe, die Darabuka im Nahen Osten, die Pandeiro in Brasilien, die Samba-Schulen, die karibischen Handtrommeln(das ist nur eine ganz kleine Auswahl) und eben auch unsere heißgeliebte irische Bodhran: .- alle spielen unglaublich virtuos und effektvoll – im Grunde sin es immer und überall zu 80% die unterschiedlichsten Akzentverschiebungen in 4er(Reel) und 6(3)-Metren(Jig), dazu noch 20% unzählige Paradiddle-Varianten(z.B. D-d-up,d-d-up,d-up,d-up) aus dem Repertoire der US-drum Fraktion, die aber auch wieder nur zu Betonungen der verschiedenen schweren oder leichten Taktteilen führen. Aus diesem riesigen Schlag-Reservoire schöpfen wir alle - und speisen damit unsere eigenen, individuellen, aber dennoch mehr oder minder verwandten Soli-Varianten – insofern sehe ich das mit dem „Klauen und den fremden Lorbeeren“ etwas lockerer.

    Bei unseren Konzerten in 2009 waren bis jetzt so alles zusammengezählt schätzungsweise um die 5000 Zuhörer, von denen kaum einer eine bodhran kannte. Bei jeder sog. „aftershowparty“ war die bodhran DAS Thema. Die Leute waren wahnsinnig neugierig und interessiert. Allein deshalb hat sich mein Ausflug in die bodhran-world, glaube ich, schon gelohnt. Und ich hab' das Teil nicht nur bescheiden spielen, sondern auch wirklich lieben gelernt.

    Jetzt wurde mein Plädoyer doch etwas umfangreicher, wie auch immer, ich schau immer mal wieder ins forum rein.

    Zum Schluß noch ein link zu einem beneidenswerten Rhythmus-Spezialisten, der nur Diesel trinkt und dennoch absolut im Tempo bleibt, beneidenswert
    http://www.youtube.com/watch?v=jbN-jO11vKg&feature=related

    Gruß Â– Rainer, der Klassik-Fuzzi